Kulturfahrt 11. - 18.6.2017 - Ein Bericht von Martha Berg

Brügge, Gent, Lille – Städte mit klangvollen Namen im Nordwesten waren u.a. das Ziel unserer diesjährigen Kulturfahrt. Flandern mit seiner wechselvollen Geschichte war immer eng mit der französischen Geschichte verbunden und ist heute u.a. Teil Belgiens sowie der neu geschaffenen nordfranzösischen Region „Hauts-de-France“. Der Glanz dieser Städte gründete sich im Mittelalter vor allem auf den Tuchhandel und damit eng verbunden die Handelsbeziehungen (Wolle!) mit England. Claudia Ebert führte uns in eine wohlorganisierte Woche mit vielen historischen Berichten und architektonischen Highlights. Die Broschüre, die Ingrid Gängel wiederum für uns vorbereitet hatte, war sehr hilfreich dabei, sich einen Überblick zu verschaffen, was uns in den kommenden Tagen erwarten würde. Bei einer Pause auf der Hinfahrt gab es den schon oft genossenen Sektempfang – dieses Mal aber gestiftet aus ganz besonderem Anlass eines runden Geburtstages; herzlichen Dank an die „Schenkenden“ – auch für die köstlichen „Guglhupfe“! Einer unserer Teilnehmer ergänzte das durch einen in Eigenregie produzierten Schriesheimer Sekt – vielen Dank auch dafür.

Flandern – über die Geschichte der Region hatte uns Claudia schon auf der Hinfahrt informiert. Bereits unter Cäsar wurde es römische Provinz Gallia Belgica (obwohl er feststellte, dass die Belgae keine Germanen sondern Gallier seien). Zahlreiche Herrscher folgten – die Merowinger, Franken, Burgunder, Spanier/Habsburger... und haben ihre Spuren hinterlassen. Die Tuchherstellung sorgte für Wohlstand – der Handel blühte und machte die Städte reich. Als nach dem Tod Karls des Kühnen (dem letzten Burgunder-Herzog) dessen Länder durch die Ehe seiner Erbtochter Maria mit Maximilian I. (Hochzeit 1477 in Brügge) an das Haus Habsburg fielen, suchte die französische Krone im Burgundischen Erbfolgekrieg (1477-1493) vergeblich, ihre alte Lehnshoheit über Flandern wieder zu erlangen. In der Folge kam Flandern über die Heirat von Maximilians Kindern Philipp und Margarete mit den Kindern aus dem spanischen Königshaus Johanna von Kastilien und Johan von Asturien an die spanische Linie des Hauses Habsburg. Aus der Ehe zwischen Johanna (der Wahnsinnigen) und Philipp I. (der Schöne) ging der spätere Kaiser Karl V. (1500 geboren in Gent) hervor. Zahlreiche Kriege wüteten in dem Land (der 80jährige Krieg war der Unabhängigkeitskampf der nördlichen Provinzen, Utrechter Union) bis später unter Napoleon bzw. beim Wiener Kongress sowie in den Folgejahren Teile Flanderns den Niederlanden und dem später neu konstituierten Königreich Belgien zugeordnet wurden. Seit 1830 ist Belgien eine föderale, konstitutionelle Erbmonarchie (König Philippe). In Belgien leben heute etwa 11,5 Millionen Menschen – ca. 60% sprechen flämisch, 40% französisch sprechende Vallonen, und ein sehr kleiner Teil im Osten spricht deutsch.

Unser erstes Hotel in Seebrügge lag so, dass wir gleich nach Ankunft einen Gang zum Meer machen konnten – die Wellen, der Sand und der Wind (!) haben uns empfangen. Für die Handelsstadt Brügge war der Bau des großen Hafens von Seebrügge von größter Wichtigkeit, war doch die bei einer großen Sturmflut 1134 entstandene weite Fahrrinne „Zwin“ in der Meeresbucht ab dem 15. Jh. versandet. Die sich entwickelnde Industrie – insbesondere der Handel mit England – erforderte jedoch eine direkte Anbindung an die Nordsee. Ende des 19. Jh. wurde mit dem Ausbau des neuen Überseehafens Seebrügge (Autotransporte!) und zweitgrößten Fischereihafens Belgiens begonnen – der erste Hafenkomplex konnte 1907 vom belgischen König Leopold II. eingeweiht werden.

Brügge – der Name leitet sich ab von Bryghia (Burg oder Anlegestelle) – wurde um 870 von Balduin I. gegen den Einfall der Normannen gegründet; 1128 erhielt Brügge die Stadtrechte. Bereits 1297 wurde mit der Anlage der Stadtwälle (dem „Ei“ von Brügge) begonnen. Der Flämische Freiheitskampf – Aufstand gegen den französischen König Philipp den Schönen (ein Kapetinger) –  gipfelte 1302 in der Brügger Metten und in der Schlacht der Goldenen Sporen. Ende des 15. Jh. ist Brügge eines der wichtigsten Mitglieder der Hanse – aber mit der Versandung des Zwin beginnt der Niedergang der Stadt. Mitte des 16. Jh. wird Brügge Bischofssitz. Nach der Schlacht bei Waterloo 1815 endet die französische Besatzung; 1838 wird die Stadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen – der Wiederaufstieg beginnt.

Unser erster Tag führte uns nach Brügge, und dort beginnen wir den Rundgang in dem bekannten Beginenhof – eine Oase der Ruhe inmitten der Stadt bestehend aus kleinen Wohnhäusern, einer Kapelle sowie einem größeren Haus für die Beginenmeisterin und einem Versammlungsraum. Die Gebäude sind um einen Innenhof gruppiert mit hohen, schattenspenden Bäumen. Gegründet wurde der Hof wurde 1245 von Margareta von Konstantinopel (Gräfin von Flandern). 1998 wurde das Ensemble in die UNESCO-Liste „Weltkulturerbe“ aufgenommen. Die Bewegung der Beginen kann als frühes Zeugnis sozialen Engagements gelten; ab dem 13. Jh. schlossen sich Frauen und auch Männer (Begarden) ungeachtet ihres Vermögens in geistlichen, klosterähnlichen Gemeinschaften zusammen. Sie legten ein Gelübde ab, das jährlich erneuert werden musste; ihren Unterhalt verdienten sie weitgehend durch Handarbeit. Sie konnten, anders als in Klöstern üblich, die Gemeinschaft verlassen, um zu heiraten oder sich ein bürgerliches Leben aufzubauen – ihr Vermögen aber mussten sie zurücklassen. Das Stadtbild (heute hat Brügge ca. 120.000 Einwohner) ist geprägt durch schöne, aufwändig restaurierte Patrizierhäuser – im Jahr 2000 wurde die Brügger Altstadt von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Diese sorgfältig restaurierte mittelalterliche Stadt lernen wir bei einem Stadtrundgang kennen. Am Alten Börsenplatz befanden sich die Handelsniederlassungen der italienischen Seestädte Genua, Florenz und Venedig sowie das 1246 erbaute Handelshaus der Kaufmannsfamilie Van der Beurze, daraus entwickelte sich die erste „Börse“ der Welt. Der Marktplatz mit dem mächtigen Belfried aus dem 13./14. Jh. sowie die dahinterliegende ehemalige Tuchhalle zeugen von Freiheit und Reichtum der alten Hansestadt. Am danebenliegenden Burgplatz begann die eigentliche Geschichte Brügges – hier stand die Burg zur Verteidigung gegen die Normannen. Heute stehen dort das Rathaus sowie die Alte Kanzlei aus dem 14. Jh. Die wunderschön gestaltete Fassade des Rathauses ziert eine Galerie von Helden, Grafen und Herzögen aus der Geschichte Brügges und Flanderns. Daneben liegt ein Kleinod – die Basilika des Heiligen Blutes mit der Unterkirche aus dem 12. Jh., das älteste Gebäude Brügges. Einer Legende nach bekam Graf Diederik aus dem Elsass nach seinen Kreuzzügen einige Tropfen des Heiligen Blutes Christi, die in einer Schatulle in der Oberkirche dieser Kapelle aufbewahrt werden; jedes Jahr findet eine Heilig-Blut-Prozession statt. Bei einer Bootsfahrt auf den malerischen Grachten (hier Reien genannt, nach dem im Mittelalter kanalisierten Flüsschen Reie, das die Grachten mit Wasser versorgte) mit ihren niedrigen Brücken lernen wir neue Blickwinkel der Stadt kennen – besonders romantisch ist der Blick auf den Beginenhof vom Wasser aus mit den vielen Schwänen. Das Brügger Collège d’Europe steht direkt an einer der Grachten – viele einflussreiche Persönlichkeiten in Brüssel, Luxemburg oder Straßburg haben in Brügge studiert. Ganz in der Nähe wird der Blick offen auf das romantischste Stück der Grachtenfahrt, auf den „Rozenhoedkaai“ – hier wurden im Mittelalter Rosenkränze verkauft!

Die Liebfrauenkirche steht an der Stelle einer im 9. Jh. erbauten kleinen Kapelle; als sich die Stadt ausweitete wurde diese durch ein größeres Gotteshaus ersetzt, und im 13. Jh. wurde mit dem Bau der heutigen, gotischen Kirche begonnen mit dem typischen Kalkstein aus Tournai. Dem zunächst dreischiffigen Langhaus (1210-1230) wurden diesem um 1345 bzw. 1450 im Norden und im Süden jeweils ein weiteres Schiff angefügt, so dass eine fünfschiffige Anlage entstand; mit ca. 122 m Höhe prägt der nördlich des Langhauses platzierte Turm von 1320 das südliche Stadtbild. In der Kirche befinden sich u.a. der Sarkophag von Karl dem Kühnen sowie seiner Tochter Maria von Burgund. Das Innere (leider durch eine große Baustelle etwas getrübt...) birgt weiter ein unschätzbares Kunstwerk –  die wunderschöne Statue der „Mutter mit dem Kinde“, eine frühe Plastik von Michelangelo aus weißem Marmor. Ursprünglich für den Dom von Siena bestimmt, verkaufte Michelangelo die Statue an den Brügger Kaufmann Moeskroen; er schenkte sie später seiner Pfarrgemeinde.

Der nächste Morgen – strahlende Sonne, der richtige Auftakt für die Fahrt in die großartige Stadt Gent (ursprünglich Gond, bei den Germanen zu Gonda geworden, woher sich das lateinische Gandavum ableitet; Gonda kann mit Zusammenfluss oder Mündung übersetzt werden) – die Schelde und die Leie treffen sich hier. Die Wurzeln der Stadt reichen weit zurück – bereits aus der Bronzezeit und früher datieren älteste Funde. Das Gebiet wurde unter Cäsar im Jahr 50 v.Chr. römisch. Im 7. Jh. wurden zwei Abteien gestiftet – das Kloster St. Bavo und das Kloster St. Peter. Bereits im 11. Jh. war Gent eine Metropole der Textilproduktion und war bis 1550 die größte Stadt der Niederlande. Auch das Flachs- und Leinengewerbe sowie das Stapelrecht auf Getreide trugen zu Reichtum und Größe der Stadt bei. Hier wurde am 24.2.1500 im „Hof ten Walle“ der spätere Kaiser Karl V. geboren; später sagte er über die Ausdehnung von Gent: Je mettrai Paris dans mon gant/Gand („Ich könnte Paris in meinen Handschuh/mein Gent stecken“). Viele Kämpfe zwischen dem aufstrebenden Bürgertum und dem Adel wurden ausgefochten – die Herrschaft der XXXIX (39 Genter Schöffen) dominierte Politik und Rechtsprechung. Um 1300 wurden die Schöffen von Graf Guido I. von Flandern abgesetzt, und in der Folge gewannen die Zünfte und Kaufmannsfamilien an Macht und Einfluss. Gent spielte auch eine Rolle im Hundertjährigen Krieg mit England, wobei Gent nach anfänglicher Neutralität schließlich für die englische Seite optierte, weil die Stadt vom Import von Rohstoffen für die Textilproduktion abhängig war. Soziale Konflikte, u.a. zwischen den „Walker“ und den „Webern“ brachen aus. Der Anführer der Weber, Jacob van Artevelde, wurde schließlich am 17.7.1345 auf dem Kalandeberg ermordet. Die Verteilung der Schöffenämter wurde angepasst (kleinere Gewerbe wurden in die 5 großen Zünfte aufgenommen) – trotzdem blieb es eine unruhige Zeit. Der erste große Aufstand endete im Dezember 1385 mit dem Frieden von Doornik (Tournai), geschlossen mit dem Grafen Philipp dem Kühnen von Burgund, der 1384 die Erbin Margarete von Flandern geheiratet hatte. Die Grafschaft Flandern kam nach der Hochzeit von Maria von Burgund mit dem späteren Kaiser Maximilian durch die Heirat deren Kinder mit den Nachkommen des spanischen Königshauses an die spanischen Habsburger. Im 16. Jh. spielte die Stadt eine wichtige Rolle im Aufstieg des Calvinismus. Ein Aufstand wurde durch Karl V. mit großer Härte niedergeschlagen – die Anführer mussten mit einer Schlinge um den Hals um Vergebung bitten. Die „Klokke Roeland“, das Sinnbild der Genter Selbständigkeit, wurde aus dem Belfried entfernt.. In der „Genter Pazifikation“ (1576) forderten Siebzehn Provinzen den Abzug der spanischen Truppen und religiöse Toleranz. Erst mit dem Westfälischen Friede 1648 konnten die Auseinandersetzungen beendet werden. Um 1600 begann der wirtschaftliche Niedergang, da die Stadt die Verbindung ihres Hafens mit der See verlor. Erst die Ansiedlung neuer Gewerbe in der zweiten Hälfte des 18. Jh. brachte Gent wieder zu ökonomischer Blüte, und sie wurde zur größten Stadt im heutigen Belgien (ca. 257.000 Einwohner). Um 1800 begann in Gent als erster Stadt auf dem europäischen Festland die Industrialisierung, vor allem in der Leinen- und Baumwoll-Verarbeitung – eine mechanische Spinnmaschine, die „Mule Jenny“, war aus England von Lieven Bauwens eingeschmuggelt worden! Unser Stadtrundgang beginnt am „Gravensteen“ – einer Wasserburg inmitten der Stadt. Die Ursprünge gehen wohl auf Balduin I. um 870 zurück, mit dem das „Haus Flandern“ seine Herrschaft begann. Im 13./14. Jh. wurde die Burg umgebaut in der Architektur der syrischen Kreuzritter. Nach der Französischen Revolution wurde sie an eine Baumwollspinnerei verkauft und sollte Ende des 19. Jh. abgerissen werden – die Stadt Gent kaufte die Burg jedoch zurück! Ein reizvoller Anblick bietet sich von der Brücke über die Graslei zur alten „Fleischhalle“ – das Wasser ist gesäumt von prächtigen, wunderschön restaurierten Gildehäusern. Das absolute Highlight ist jedoch der „Genter Altar“ in der St. Bavo-Kathedrale – Jan van Eyck hat ihn 1432 vollendet. Das weltberühmte 12teilige Altarbild „Die Anbetung des Lamms Gottes“ (mit seiner Alltags- sowie Festtagsseite) ist ein Auftragswerk des reichen Genter Patriziers Joos Vijd und dessen Ehefrau Elisabeth Borluut. Die Kathedrale beherbergt außerdem ein Gemälde von Rubens; beeindruckend ist ebenso die Kanzel – ein Rokoko-Kunstwerk aus dem Jahr 1745.

Wir verlassen Gent und besuchen auf der Rückfahrt das kleine Städtchen Damme. Hier errichteten friesische Gastarbeiter mit hervorragendem Wissen um den Deichbau einen Damm an dem früheren Meeresarm Zwin. Somit war Damme bereits im 12. Jh. wichtiger Vorhafen von Brügge und erhielt 1180 vom Grafen von Flandern (Philipp vom Elsass) die Stadtrechte. Als in Brügge der wirtschaftliche Niedergang begann, ging es auch mit Damme bergab. Der „Damse Vaart“ (Dammer Kanal) wurde 1820 auf Befehl Napoleons von spanischen Kriegsgefangenen ausgehoben; der Kanal sollte Brügge mit der Schelde verbinden, um über diesen Weg die englische Blockade des Festlandes umschiffen zu können – der Kanal wurde nie vollendet! Am Wasser steht eine alte Windmühle (eine Haubenmühle) und gibt ein malerisches Bild ab. Auf dem Rathaus-Kamin war ein Storchenpaar mit der Fütterung der Jungtiere höchst beschäftigt! Inmitten der kleinen Stadt stehen die beeindruckenden Reste der Liebfrauenkirche (um 1230 begonnen), die erste Hallenkirche in Flandern. Damme ist auch die Stadt des Tyll Eulenspiegel aus dem Werk von Charles de Coster; dieser versetzte die Figur des volkstümlichen Rebellen in das Flandern des 16. Jh. – was u.a. dazu führte, dass sich Damme heute noch die Bücherstadt nennt und viele Antiquariate auf Käufer hoffen. Auf der Fahrt zurück zum Hotel passieren wir den großen Hafen von Seebrügge und sehen „Millionen“ von Autos, die auf den Weitertransport warten!!!

Die Weiterfahrt am nächsten Morgen führt uns entlang der belgischen Küste (ca. 67 km lang) – die Dünen und eine Stippvisite am weißen Sandstrand von Blankenberge bleiben in Erinnerung. Wir kaufen ein für das Picknick und danach gibt es die erste Weinprobe! Schon das Einkaufen fürs Picknickist ein Genuss – aus der Vielzahl der Käsesorten, Paté, Schinken, Obst, Gemüse auszuwählen ist ein besonderes Vergnügen! Und es gibt auch Bier in Belgien!!! Was besonders unsere Biertrinker freut – aus „gefühlten“ 100 Sorten kann man wählen... Besonders bekannt ist die Brauerei „Der halve Mann“ in Brügge. Am Parkplatz wird alles auf den rasch aufgebauten Tischen ausgebreitet und zum Abschluß gibt es Kaffee und Kuchen (ein Dankeschön an alle KuchenbäckerInnen!). Das Schönste war dann die sich anschließende Weinprobe – von Günter Woldert organisiert; Peter Worst und Werner Ebert assistierten ihm: Die Region „Flandern“ ist nun mal nicht die Weingegend Frankreichs<s>!</s> – so hatte man die Weine ausgesucht aus den verschiedensten Gegenden Europas und diese aufgeteilt in „mineralische“ und „opulente“ Wein; an diesem Tag verkosteten wir die „mineralischen“. Eingebettet hatten die Sommeliers ihre Weine in Rätselfragen nach berühmten Personen, z.B. „Ein Schauspiel, in Mannheim vorgetragen – und noch bevor es zu Ende gelesen war, sind alle abgehauen“...? Die Antwort war natürlich „Schiller, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“. Hier ging es um einen leichten Sommerwein, einen Elbling vom Weingut Steinmeth in Wehr (südl. Mosel). Oder „Welche bekannte Persönlichkeit hat diesen Wein auch schon getrunken?“ Der besagte Wein war ein „Würzburger Stein“, ein Silvaner aus dem Bürgerspital in Würzburg – eine Sorte, die bereits seit 1650 angebaut wird. Hier war Goethe gefragt! Der absolute Spitzenwein für diesen Tag war ein Roter Riesling Spätlese vom Bensheimer Kirchberg – er mundete einfach (fast) allen!

Tournai ist das nächste Ziel. Die zweitälteste Stadt Belgiens (nach Tongeren) wurde im 5. Jh. merowingischer Herrschaftssitz; sie wurde später dem Frankenreich zugeschlagen und kam im 10. Jh. zur Grafschaft Flandern. In seiner wechselvollen Geschichte gehörte Tournai zu den Spanischen Niederlanden, zu den Österreichischen Niederlanden und 1795 wurde dort die Batavische Republik ausgerufen. Nach kurzer Zugehörigkeit zum Königreich der Vereinigten Niederlande gehört es seit 1830 zum heutigen Königreich Belgien. In der Stadt fand man 1653 beim Bau eines Hospizes das Grab von Childerich (gest. 481), dem ersten eindeutig identifizierten Merowinger und Vater von Chlodwig I. – prunkvolle Beigaben an Waffen, Schmuck, vergoldete Fibeln und Münzen wurden entdeckt; 300 goldene Anhänger in Bienenform (zum Besatz eines Brokatmantels) sowie ein Siegelring mit einem stilisierten Porträt und der Umschrift CHILDIRICI REGIS gehörten dazu. Der Schatz wurde in der Französischen Nationalbibliothek aufbewahrt (nachdem er unter Erzherzog Leopold Wilhelm im 16. Jh. für einige Zeit nach Wien gebracht worden war). Napoleon war von den „Bienen“ so beeindruckt, dass er dieses Symbol für den Sieg über die verhasste Bourbon-Lilie übernahm. 1831 wurde der Schatz gestohlen – die Diebe schmolzen Teile ihrer Beute ein, so dass nur ein Bruchteil, darunter zwei Bienen, erhalten blieb! Auf den Besuch der Stadt (ca. 70.000 Einwohner) und vor allem ihrer Kathedrale hat Werner Ebert uns bestens vorbereitet mit wichtigen Details. Die mittelalterliche Altstadt ist gut erhalten. Die Kathedrale „Notre Dame“ (erbaut 1110-1325) sowie der um 1200 erbaute (älteste belgische) Belfried gehören zum UNESCO-Welterbe. Im 11. Jh. wütete in Brabant und Flandern die Pest und forderte zahlreiche Todesopfer. Die Menschen pilgerten zur damaligen Kathedrale, von wo sie Hilfe erhofften; eine große Prozession fand am 14. September 1090 statt – die Pest flammte ab! Für die danach neu erbaute Kathedrale entstanden in der Zeit bis 1191 eindrucksvolle Meisterwerke der romanischen Baukunst – das Mittelschiff sowie die Seitenschiffe, die fünf Türme und der Chor. Die Gesamtlänge beträgt 134 m, die Länge des Querschiffs 66,5 m; die Höhe des Chors ist mit 56 m, die des Querschiffs mit 48 m beeindruckend. Das Langhaus hat einen vierzonigen, gewaltigen Wandaufbau – von mächtigen Säulen getragen. Ein kompletter gotischer Neubau wurde geplant, jedoch in veränderter Form fertiggestellt – der gotische Chor war 1255 beendet. Der Lettner ist ein Werk der Renaissance des flämischen Bildhauers Cornelis Floris II. (1572). Zur Erinnerung an die Pestzeit findet am 2. Sonntag im September eine Prozession zur dunklen Madonna „Notre Dame la Brune“ statt.

Lille – die Stadt im Norden Frankreichs! Sie überrascht die meisten von uns durch ihren Charme. Der Name leitet sich ab von L’Isle – die erste Ansiedlung lag auf einer Sumpfinsel im Tal der Deule. Am 22.11.1890 wurde in Lille Charles de Gaulle geboren; Louis Pasteur wirkte einige Jahre an der Universität von Lille. Wir beziehen ein Hotel nahe dem Stadtzentrum, direkt neben der Kirche St. Maurice. Das Hotel ist ein typisch französisches – das Frühstück gibt’s in der kleinen Rezeption und in einem Raum daneben, der an das Wohnzimmer einer Familie erinnert; aber es ist alles da, vor allem die köstlichen Croissants!

 

Auf dem Weg zum Abendessen bekommen wir einen ersten Eindruck von der Stadt – über den Marktplatz vorbei an der alten Börse... Auf der Stadtrundfahrt am nächsten Morgen sehen wir die Stadt mit ihren vielen Gesichtern – vorbei an der pentagonalen Zitadelle (erbaut unter Ludwig XIV. von Vauban). Eine Stadterweiterung wurde durchgeführt per Dekret von Napoleon III. im 19 Jh.; das zugrundeliegende Interesse war, die „elenden“ Wohnverhältnisse mit ihren unzureichenden hygienischen Verhältnissen zu verbessern. Die bewegte Geschichte der Stadt kurz zusammengefasst: Im Mittelalter reich geworden durch das Tuchmachergewerbe und dem Handel mit Kräutern und Gewürzen, kam Lille (größte Handelsmetropole Flanderns) 1368 durch Heirat an das Haus Burgund; im Jahr 1555 wurde Lille Teil der Spanischen Niederlande – 1542 waren die ersten calvinistischen Protestanten aufgetaucht, gegen die die Spanier gewaltsam vorgingen; 1668 wurde die Zugehörigkeit Lilles zu Frankreich im Frieden von Aachen anerkannt. Die zunehmende Industrialisierung im 19. Jh. hatte auch ein Erstarken der Arbeiterbewegung zu Folge. Lille war die erste Stadt Frankreichs, die 1896 einen sozialistischen Bürgermeister erhielt. Die zahlreichen, schnell wachsenden Fabriken (Textilindustrie, Maschinenbau) und die zunehmende Zahl der Arbeiter hatten erbärmliche Lebensbedingungen aufgrund des fehlenden Wohnraums zur Folge; um 1900 verzeichnete man die höchste Kindersterblichkeit Frankreichs (etwa 30% !). Als in den 1960er Jahren ein wirtschaftlicher Niedergang begann, konnte dieser erst durch die Umstellung auf Dienstleistungen gestoppt werden. Dies führte auch zu großen Veränderungen im Stadtbild. Zwischen den Weltkriegen waren bereits im Arbeiterviertel viele alte Wohnhäuser abgerissen worden – ein neues Viertel entstand zusammen mit dem Neuen Rathaus; daneben steht der Belfried, mit 104 m der höchste in Flandern. Ganz in der Nähe findet sich noch die „Porte de Paris“ – zur Glorifizierung der Einnahme Lilles durch Ludwig XIV. mit Sonnenstrahlen geschmückt! Der Plan, ein ganz futuristisches Geschäftsviertel Euralille im Osten der Stadt zu gründen, wurde nach vielen Diskussionen umgesetzt als auch der neue Bahnhof „Lille-Europe“ für den TGV sowie den Eurostar gebaut wurde. Lille ist Universitätsstadt (drei Universitäten) und hat ca. 100.000 Studenten bei etwa 234.000 Einwohnern! 2004 war Lille Kulturhauptstadt Europas (zusammen mit Genua).

Der Besuch des „Musée de l’Hospice Comtesse“ im Historischen Viertel Lilles ist wie eine Zeitreise zurück ins Mittelalter. 1237 gründete Comtesse Jeanne de Flandre in ihrem eigenen Palais das Armenhospiz Notre Dame. Passiert man das monumentale Eingangsportal, durchquert man den langen Krankensaal von 1470 mit seinem schönen Gewölbe in Form eines Schiffskiels; eine kleine Kapelle schließt sich an. In den weiteren Räumen wird ein Flämischer Haushalt aus dem 17./18. Jh. nachgebildet mit Möbeln, Bildern, Tischkulturobjekten etc. Im Schlafsaal veranschaulichen Exponate die Geschichte der Stadt und des Lebens in Lille vom Ancien Régime bis zur französischen Revolution. Im Stadtzentrum findet sich die Kathedrale von Lille, die Bischofskirche „Notre Dame de la Treille“. Der Grundstein wurde 1854 gelegt; die Pläne für die gewaltige Basilika mit einem Kreuzgrundriss als Schrein für das Gnadenbild „Unserer Lieben Frau von Treille“ schuf Charles Leroy aus Lille. Die Größe dieses Kirchenbaus führte zu einer langen Bauzeit; auch unterbrochen durch die beiden Weltkriege blieb sie lange Zeit unvollendet. Bis 1869 war der fünfjochige Umgangschor fertig; 1874 wurde auf der Südseite ein freistehender Glockenturm errichtet. 1974 war das Langhaus (niedriger und einfacher als ursprünglich geplant) beendet. Die endgültige Fertigstellung erfolgte dann 1999 mit der modernen Schauseite – eine selbständige Konstruktion aus überwiegend transparenten Materialien – entworfen von Peter Rice und von Pierre-Louis Carlier ausgeführt. Bemerkenswert in der Stadt sind die „Alte Börse“ – 1653 aus 24 aneinander gebauten Mansardenhäusern fertiggestellt (im Innenhof unter den Arkaden gibt es einen Büchermarkt; Schachspieler in der Mitte des Platzes wecken das Interesse der Zuschauer) –, die „Neue Börse“ (1903, heute Handelskammer) sowie die Oper – der Neubau wurde nach dem Krieg 1923 eingeweiht.

Für das „Musée des Beaux-Arts“ wurde Ende des 19. Jh. ein prachtvoller Bau an der Place de la République 1892 eingeweiht – das größte Kunstmuseum Frankreichs außerhalb von Paris (entworfen von Robert Mallet-Stevens, in Auftrag gegeben von dem Industriellen Paul Cavrois). Es zeigt rund 2.000 europäische Kunstgemälde (Botticelli, Rubens, Delacroix, Tizian, Goya, Veronese u.a.), Keramiken aus dem 17./18. Jh. – französische Skulpturen aus dem 19. Jh., Pläne und Reliefs befestigter Städte aus dem 18. Jh.; hinzu kommen in der Antiquitätenabteilung Stücke aus dem Mittelalter und der Renaissance.

Willkommene Abwechslungen sind kulinarische Genüsse bei unseren Abendessen – verschiedenste Spezialitäten, z.B. „Waterzoi“, einen schmackhaften Fischeintopf, lernen wir kennen. Köstliche Desserts zum Abschluss! Die Weinkarte verspricht gute Tropfen, und Bier löscht den ersten Durst!

Der nächste Tag führt uns nach St. Omer am Fluss Aa in einer von dem Mönch Audomar (heiliggesprochen unter dem Namen Saint Omer) missionierten Region. Die Urbarmachung des marais audomarois erlaubte Viehzucht und Gemüseanbau – die Fa. Bonduelle hat ganz in der Nähe eine Produktionsstätte. Das „Audomarois“, dieser ungewöhnliche Naturraum, wurde 2013 von der UNESCO als Biosphärenreservat unter Schutz gestellt. Als wichtiger Sitz von Verwaltung und Jurisdiktion hat St. Omer heute ca. 14.000 Einwohner. Die Kathedrale Notre Dame steht an der Stelle, an der im 7. Jh. eine Marienkapelle errichtet wurde; diese brannte 1033 ab und wurde durch eine romanische Kirche ersetzt. Als diese 1191 ebenfalls durch einen Brand zerstört wurde, begann man mit dem Bau dieses groß dimensionierten Gotteshauses, der über 300 Jahre dauerte; um 1500 war die Kathedrale weitgehend abgeschlossen. Von 1559 bis 1802 war sie Bischofskirche des Bistums Saint-Omer; 1879 erhielt sie den Rang einer Basilica minor und gehört heute zum Bistum Arras. Die Kathedrale ist eine dreischiffige Basilika mit ebenfalls dreischiffigem Querhaus; den Westabschluß bildet der massive, helmlose Turm. Das Hauptportal zeigt eine Darstellung des Weltgerichts im Tympanon. Den Innenraum prägen Kreuzgratgewölbe, Obergaden mit großen Maßwerkfenstern und Triforien, die sich auch im Chor und in der Apsis fortsetzen. Anders als die meisten bedeutenden Kirchen Frankreichs verlor die Kathedrale von Saint-Omer in der Revolution nur geringe Teile ihrer Ausstattung. Bemerkenswert sind eine Ecce-homo-Gruppe aus der zerstörten ehemaligen Kathedrale von Thérouanne, das Kenotaph des heiligen Audomar und das Grabmal des Eustache de Croy (Bischof von Arras und Propst des Domkapitels) sowie ein Gemälde von Peter Paul Rubens „Kreuzabnahme“. Sehenswert ist auch die astronomische Uhr aus dem 16. Jh. und der Altar für St. Erkembode, auf dem sich Kinderschuhe häufen; die Anrufung des Heiligen soll Kindern helfen, die sich mit dem Laufen schwertun.

Noch in St. Omer gibt es eine zweite Weinprobe... Dieses Mal geht es um die „opulenten“ Weine – es beginnt mit einer Neuheit! Ein Sauvignon Blanc vom Weingut Klemens Andres in Niederkirchen (Pfalz) – hergestellt mit extra dafür eingeführten sogen. Aromahefen aus Neuseeland. Dem folgt ein Chardonnay-Viognier von der Cote d’or; der Wein hat 14% Alkoholgehalt, ist im Holzfass gereift – sein Aroma erinnert an schwarze Johannisbeeren oder frisch gemähtes Gras... Danach probieren wir einen Grauburgunder SL aus Wachtenheim (Pfalz), und den Abschluss bildet ein Merlot „Deidesheimer Hofstück“ vom Weingut Klemens Andres aus der Pfalz.

Die Heimreise am Sonntag – sie ist nicht zu lang, und wird angenehm unterbrochen durch ein schönes Picknick mit den letzten französischen Köstlichkeiten; gegen 18.30 Uhr sind wir wieder in Schriesheim. Ein herzliches Dankeschön an Claudia Ebert für diese Woche voller schöner Eindrücke im Norden Frankreichs bzw. in Teilen Belgiens – eben in Flandern! Danke für die Mühen des Auswählens und der Organisation und die Geduld beim Beantworten unserer Fragen. Danke auch an alle Helfer und Helferinnen im Hintergrund, nicht zuletzt auch an unseren Busfahrer, dass er uns mit viel Umsicht gut nach Hause gebracht hat. À la prochaine... !?

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